Highlights der Zweibrücker Industriegeschichte

(Mitte des 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts)

Vorgestellt werden drei Beispiele aus einer Vielzahl von Innovationen, die bis heute zum Fortbestehen Zweibrücker Unternehmen beigetragen haben - seit den 1830er Jahren über Kriege und einschneidende Umstrukturierungen hinweg... Alle drei spiegeln besondere Facetten jeweils aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert unserer lokalen Industriegeschichte. Damals wie heute waren sie eingebettet in Innovations-, Bezugs- und Absatznetzwerke transnationaler Reichweite.

Die Dinglerpresse - ein Meilenstein in der Geschichte der Buchdruckkunst

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Eine Dingler-Kniehebelpresse von 1845 im Deutschen Museum, München

 (Quelle: Clemens PFEIFFER, Vienna, Attribution, via Wikimedia Commons)

Christian Dingler (1802-1858) ist als einflussreicher Pionier des anbrechenden Maschinenzeitalters anzusehen, nicht nur in Zweibrücken, sondern auch in der Pfalz. Die oben abgebildete innovative Druckpresse machte ihn bald überregional bekannt. Der durch die Presse erzielte geschäftliche Anfangserfolg erlaubte es ihm, in weniger als drei Jahrzehnten eines der bedeutendsten Maschinenbauunternehmen im Südwesten Deutschlands zu entwickeln, zunehmend mit Lieferbeziehungen weit über Europa hinaus.

Technische Innovationsstränge, die von Dingler und seinen Ingenieuren im 19. Jahrhundert begründet wurden, haben dann - teilweise bis heute fortgeführt - auch zu technischen Anlagen von Weltbedeutung geführt (s. das zweite Highlight)

Auf welchen Pressen druckte Georg Ritter Anfang der 1830er Jahre?

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Wir dürfen davon ausgehen, dass es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dabei immer um Pressen handelte, die sein Schwiegersohn Christian Dingler produziert hatte. Im Journal für Buchdruckerkunst, Schriftgießerei und... von 1836 (s.u.) schreibt Dingler bei der Beschreibung seiner Hagarpresse „Bei der Ausführung derselben haben wir unsere eigenen auf langjährige Beobachtungen in diesem Fache gestützten Erfahrungen berücksichtigt und mögliche Solidität mit Eleganz verbunden.“ Wo aber kann man solche Beobachtungen besser machen als im produktiven „Echteinsatz“ in einer befreundeten Druckerei?

Der Dingler-Windkanal: Von Zweibrücken ins Ötztal und schließlich in die französischen Savoyer Alpen

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Schon seit den 1870er Jahren hatten die Dinglerwerke ihre Kompetenz im Bereich der Lufttechnik systematisch ausgebaut (z.B. im Hinblick auf Verdichter / Kompressoren, s. Start dieser Webseite). Frühe großtechnische Anwendungen für die lebenswichtige Bewetterung von Bergwerken, also die ununterbrochene Zufuhr von Frisch- und das Absaugen der Abluft, waren Radialventilatoren (Luftführung in Bezug auf die Achse kreisförmig).

Der Dingler’sche Windkanal: Im Bau gegen Ende des 2. Weltkrieges in der Gemeinde Haiming bei Innsbruck, Österreich (links) - und heutiger Zustand in Modane / Avrieux, Savoyer Alpen, Frankreich (rechts). Die große silbern schimmernde Röhre ist die Dingler’sche Anlage, umgeben von weiteren Windkanälen und Nebenanlagen. Die Gesamtanlage wird betrieben von der französischen Institution ONERA (das ist: Office national d’études et de recherches aérospatiales), eines der weltweit bedeutendsten Zentren aerodynamischer Untersuchungen

(Quellen: Archiv des Deutsches Zentrums für Luft- und Raumfahrt / Göttingen (links, Rechteinhaber nicht bekannt); rechts: Creative Commons / Lizenz CC BY-SA 3.0 /https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 )

Seit den 1930er Jahren gehörte Dingler dann zu den wenigen Spezialisten in Deutschland, denen man die komplizierte Konstruktion von Windkanälen anvertraute, also Anlagen für aerodynamische Untersuchungen an umströmten Körpern (Flugzeuge, Raketen, Formel 1-Rennwagen, Bauwerken usw.). Mit der rasanten Entwicklung der zivilen und militärischen Flugzeugindustrie nach dem 1. Weltkrieg gewann die Windkanalentwicklung höchste Bedeutung, zumal die Geschwindigkeit des erforderlichen Luftstroms bis an die Schallgrenze erhöht werden musste --- schließlich auch weit darüber hinaus.

Orkan in der Röhre, so lautet sehr anschaulich der Untertitel eines gerade erschienenen Fachbuchs über die Geschichte der Windkanaltechnik und ihren Anwendungen, und die oben gezeigten Bilder lassen die Bedeutung dieses Felds erahnen (s.u.).

thinXXS Microtechnology GmbH / Zweibrücken

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Polymer-Chip für ‚Lab-on-a-chip‘-Anwendungen / LOC

(Foto: Mit freundlicher Genehmigung von thinXXS Microtechnology GmbH / Zweibrücken 2022)

Nach der Miniaturisierung der Elektronik schrumpfen inzwischen Apparate und Analyseverfahren ebenso für biologische und medizinische Technologien, wodurch neue Anwendungsmöglichkeiten geschaffen werden. Ein stark wachsender Forschungs- und Anwendungsbereich, der sich mit dem Verhalten von Flüssigkeiten in Mikrokanälen beschäftigt, wird als Mikrofluidik bezeichnet. Das 2001 aus dem damaligen Landesinstitut für Mikrotechnik Mainz (inzwischen ein Fraunhofer-Institut) ausgegründete Unternehmen thinXXS repräsentiert wichtige Facetten dieser Entwicklung. Seit der Ausgründung in Mainz teilweise auch schon in Zweibrücken angesiedelt, wurde der vollständige Umzug in die Hochschule im Jahre 2005 vollzogen.

Die Villa von Julius Dinger jr.

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Julius Dingler jun.

Gartenstr. 15
66842 Zweibrücken

Baujahr 1925

In den frühen 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschloss Georg Christian Julius Dingler (geb. 3.7.1864 - gest. 17.2.1936) ein eigenes zeitgemäßes Haus zu bauen. Er war Enkel des Firmengründers, und nach dem Tod seines Schwagers Johann Baptist Wolff im März 1907 alleiniger Gesellschafter des Unternehmens „Dingler’sche Maschinenfabrik AG“.

Zweibrücker industriekulturelle Ankerpunkte

Der Schönhof

Vom Standort Schönhof westlich der Fahrenbergstraße aus ist das funktionale, polyhistorische Ensemble einer Dingler’schen Erinnerungslandschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis heute abzulesen. Insgesamt ist es zwar wenig spektakulär, etwa verglichen mit den eindrucksvollen Hinterlassenschaften etwa im Saarland oder im Ruhrgebiet. Es erlaubt aber, wichtige Phasen und Ereignisse der Zweibrücker Industrialisierung zu verstehen. Hilfreich sind bei dieser Betrachtung auch die Auszüge aus frühen Katasterplänen bei Ludwig 1991 (S. 40 ff. und 134-135). Weiter sei auf die industriehistorische Bestandsaufnahme (Stand Oktober 2023) einzelner Standorte verwiesen, dokumentiert auf der Webseite ‚Zweibrücker Industriekultur‘ unter https://uploads.knightlab.com/storymapjs/a35f9cd5986863a8fa2b61343e000dc7/zw-ik/index.html; die Standorte sind fortlaufend nummeriert, und entsprechende Hinweise folgen unten im Text).

Was uns die vorgestellten besonderen Highlights sagen...

Es wird deutlich, welche Innovationspotenziale die Zweibrücker Industriegeschichte über fast zwei Jahrhunderte auszeichnen. Dies gilt nicht nur bis heute für die traditionellen Zweibrücker Unternehmen und ihre Nachfolger, sondern ebenso für die im Hochschulkontext angesiedelten und entstehenden Gründungen. Sie alle sind in weltweite Beziehungsnetze eingebunden. Vergleichbare Entwicklungen prägen auch das ehemalige Flugplatzgelände, können jedoch hier nicht vertieft werden.

Die Texte sind entstanden in enger interdisziplinärer Absprache von: Dr. Gerhard Herz (Orthopädie mit Sportmedizin), Dr.-Ing. Dieter Holzdeppe (Flugzeugbau und Raumfahrttechnik), Dipl.-Ing. Klaus Meissner und Dr. Dietrich Soyez (Geographie)(alle Freundeskreis Zweibrücker Industriekultur) sowie Dr. Christian-Albrecht Kaendler (Biologie) (thinXXS Mikrotechnologie GmbH, Zweibrücken)

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